Unsere Arbeit

Aus den Erfahrungen der Corona-Zeit lernen:

Von: Judith Adamczyk

 

Die Corona-Pandemie hat in aller Deutlichkeit gezeigt, welcher immense Wert Betreuungsangeboten für Kinder und Jugendliche zukommt. Ab Mitte März wurden in schneller zeitlicher Abfolge alle Kindertagesstätten, Kindertagespflegestellen, Horte und die Schulen geschlossen. Nur ein kleiner Anteil der Kinder, vor allem aus Familien mit „systemrelevanten“ Berufen, wurde in der sogenannten Notbetreuung betreut.

Familien mussten in dieser Zeit ihren Alltag komplett umstellen. Für viele berufstätige Eltern kam es zu großen Veränderungen in ihrem Arbeitsalltag – entweder durch die verstärkte Inanspruchnahme von Home-Office, durch Kurzarbeit  oder gar durch pandemie-bedingte Kündigungen. Viele Ängste und Unsicherheiten entstanden. Zeitgleich mussten die Kinder ganztägig von ihren Familien betreut werden. An sich ist ein schöner Umstand, mehr Zeit für die Familie zu haben – da aber zeitgleich die beruflichen Herausforderungen gemeistert werden mussten, führte dieser Umstand zu einer enormen Doppelbelastung. Zahlreiche Familien veränderten ihre komplette Alltagsorganisation, um Beruf und Kinder miteinander zu vereinbaren. Auch von den Kindern und Jugendlichen wurde in dieser Zeit viel abverlangt. Treffen mit Freunden konnten nicht mehr wie gewohnt stattfinden, die Umstellung auf Lernen zuhause war oft holprig.

Das Fehlen der institutionellen Betreuung in dieser Zeit machte aber auch auf einen zweiten Tatbestand nachdrücklich aufmerksam: wie chancenungleich das deutsche Bildungssystem tatsächlich ist. Wie durch ein Brennglas wurde deutlich, welche Defizite im Bildungssystem vorliegen. In wenigen Wochen wurden die ohnehin bestehenden Benachteiligungen nochmals verstärkt.

  • Wie viele Kinder waren wochenlang von ihrem alltäglichen Bildungskontext abgeschnitten?
  • Wie viele Kinder haben wochenlang nur den Minimal-Kontakt mit Erzieher*innen und Lehrer*innen gehabt?
  • Wie viele Kinder verfügten nicht über die technischen Voraussetzungen im häuslichen Umfeld, um weiterhin am schulischen Geschehen aktiv mitwirken zu können?

 

Entwicklung im Schulsystem seit den 2000er Jahren

Bereits die PISA-Untersuchung aus dem Jahr 2000 hat die enormen Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem aufgezeigt. Seitdem wurden viele Programme aufgelegt und Mittel eingesetzt um Veränderungen anzuregen. Mitunter kamen enorme Entwicklungen im Ganztagsschulsystem, aber auch im Bereich der außerschulischen Bildung und Betreuung zustande. Die Kinder- und Jugendhilfe konnte sich mehr und mehr als Akteur in der Zuverfügungstellung von Angeboten im Rahmen der Schulen engagieren.

2018 wurde dann im Koalitionsvertrag die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder versprochen. Damit wird ein weiterer wichtiger Schritt zum Abbau von Ungleichheit angegangen. Denn bereits seit 1996 haben Kinder ab dem vollendeten dritten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Und seit dem Sommer 2013 existiert der Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Kindertageseinrichtung oder bei einer Kindertagespflegeperson auch für die Kinder, die das 1. Lebensjahr vollendet haben.

Spätestens mit dem Koalitionsvertrag von 2018 werden nun also die Debatten lauter geführt, WIE dieser Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ausgestaltet werden kann und muss.

 

Was nun zu beachten ist....

Klar ist: es braucht mehr Plätze in der Ganztagsbetreuung – in Schulen, aber auch in außerschulischen Angeboten, z. B. in Horten und in der Kindertagespflege. Die aktuell verfügbaren Plätze in Ganztagsbetreuungsangeboten decken bereits jetzt schon nicht den Bedarf der Familien. Die Situation in den Ländern ist sehr ungleich verteilt. Während einige Länder bereits über ein gut ausgebautes Ganztagssystem verfügen und einem Großteil der Kinder entsprechende Angebote gemacht werden können, hinken andere Bundesländer hinterher. Das Deutsche Jugendinstitut hat berechnet, dass bis Ende 2025 über 1 Million neue Plätze in Horten und Ganztagsschulen geschaffen werden müssen! Dazu kommen noch Anpassungen bei den bereits bestehenden Angeboten, dass z. B. die Betreuungszeiten verlängert werden.

 

Neben der quantiativen Dimension braucht es vor allem aber auch Überlegungen, wie Ganztagsangebote qualitativ hochwertig ausgestaltet werden können. Gute Ganztagsangebote in ausreichender Menge sollten aber allen Kindern zur Verfügung stehen – unabhängig davon, in welchem Bundesland sie leben.

Die Pandemie hat auch gezeigt, was kleine Kinder im Kita- und Grundschulalter benötigen:

  • gute Beziehungen mit ihren Pädagog*innen und Lehrer*innen
  • Kontakt mit andere Kindern
  • Aufgaben, Angebote und Lerngelegenheiten, die an der Lebenswelt der Kinder orientiert ist
  • die Möglichkeit zur Beteiligung und Gestaltung der eigenen Lernumgebung.

Kinder brauchen angemessene, kind-orientierte Angebote, um sich entwicklungsgerecht entfalten zu können.

 

Wichtig auch, der digitale Weg für Bildungseinrichtungen ist noch ein langer. Die Krise hat eindrücklich gezeigt, wie wichtig es ist, dass die grundlegenden technischen Voraussetzungen vorhanden sein müssen, damit Kinder am Geschehen in den Schulen überhaupt nur teilhaben können. Jedes Kind benötigt die eine technische Ausstattung – ohne diese wird die Schere der Ungleichheit noch breiter.
 

Eine bloße Aufbewahrung im Ganztag will eigentlich niemand – nicht die Kinder, nicht die Eltern, nicht die Fachkräfte.

Es ist also deutlich geworden: der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ist wichtig, um Familien die Möglichkeit zur Vereinbarkeit mit dem Beruf zu ermöglichen. Noch viel wichtiger ist es aber, den Kindern – und zwar allen Kindern – gerechte Chancen zu ermöglichen, Bildungsbenachteiligung muss ausgeglichen werden.

Eine bloße Aufbewahrung im Ganztag will eigentlich niemand – nicht die Kinder, nicht die Eltern, nicht die Fachkräfte. Deshalb braucht es neben dem bloßen Betreuungsplatz auch qualitativ hochwertige Angebote, die Bedürfnisse, Bedarfe, Räume, Vielfalt, Kooperation und Flexibilität berücksichtigen. Dazu brauchtt es motiviere und gute pädagogische Fachkräfte, die die Kinder in ihrer Entwicklung unterstützen und begleiten. Denn die Bedeutung, die Bildungsangeboten zukommt, war in den letzten Wochen nochmals eindrücklich spürbar.

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