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Rechtsexpertisen zu möglichen Regelungsoptionen von Qualitätsfragen im Ganztag auf Bundesebene - Empfehlungen

Von: Dieter Eckert

 

Welche möglichen Regelungsoptionen von Qualitätsfragen für eine durch einen Rechtsanspruch geregelte Ganztagsbetreuung sind denkbar? Vorstellung zweier Rechtsexpertisen.

Ganztagsbetreuung – ein Angebot an alle Grundschulkinder

In ihrem Koalitionsvertrag hat die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD im März 2018 die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab 2025 vereinbart. Mit diesem Beschluss sichert die Große Koalition den Rechtsanspruch von Kindern entlang ihrer Bildungsbiografie von der U 3-Betreuung über die Kita bis zum Ende der Grundschulzeit. Die gesetzliche Regelung soll im SGB VIII erfolgen. Für die Investition in den Ausbau neuer Ganztagsbetreuungsplätze stehen 3,5 Milliarden Euro an Bundesmitteln zur Verfügung. Davon können 2 Mrd. Euro durch das Gesetz zur Errichtung des Sondervermögens "Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter" (Ganztagsfinanzierungsgesetz vom 05. März 2020) bis Ende 2028 verausgabt werden. Der Bund plant, sich an den laufenden Betriebskosten zu beteiligen. Hierüber und über die weiteren für die Umsetzung relevanten Themen berät derzeit eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Diese wird auch Entscheidungen zur gesetzlichen Regelung des Rechtsanspruchs vorbereiten. Der Referentenentwurf eines Ganztagsförderungs-gesetzes soll im Frühherbst 2020 in die parlamentarischen Beratungen gehen.

Jedes Kind soll einen guten Ganztagsplatz erhalten können, damit alle Kinder gut aufwachsen und die gleiche Chance auf gute Bildung und Teilhabe erhalten. Dies meint eine qualitätsvolle und attraktive Ganztagsbildung und -betreuung für alle interessierten Grundschulkinder und deren Eltern! Die Umsetzung des neuen Rechtsanspruchs ist deshalb nicht nur eine Frage des quantitativen Ausbaus von bis zu 1,132 Millionen neuen Plätzen sondern insbesondere eine zentrale Frage der qualitativen Verbesserung der Ganztagsangebote insgesamt. Die Implementierung des Rechtsanspruchs muss deshalb durch eine Qualitätsoffensive begleitet werden. Beispielhaft sei hier die bundesweite AWO Online-Kampagne "Ganztagsbetreuung. Ganz schnell? Ganz gut?!" erwähnt.

 

Jedes Kind soll einen guten Ganztagsplatz erhalten

Flankierend zu dem Gesetzesvorhaben haben Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (AWO), Bertelsmann- und Robert-Bosch-Stiftung sowie die Stiftung Mercator im Spätsommer 2018 eine Expert*innen-Runde „Rechtsanspruch guter Ganztag“ eingerichtet. Diese verfolgt das Ziel, eine bundesweite Plattform für den informellen Austausch der an der Gestaltung und Umsetzung des Rechtsanspruchs beteiligten Akteure unter Hinzuziehung von Expertinnen und Experten zu schaffen. Mit der Einrichtung dieses Expertenkreises wollen die vier Organisationen einen Beitrag dazu leisten, dass das guten Ganztagsangeboten innewohnende Potenzial für mehr Chancengerechtigkeit und damit für bessere Entwicklungs- und Teilhabechancen von Kindern besser ausgeschöpft werden kann.

 

Rechtsexpertisen zeigen wie guter Ganztag geregelt werden kann

In drei thematisch aufeinander aufbauenden Workshops in 2018 und 2019 wurde darüber beraten, wie eine qualitativ hochwertige Umsetzung des Rechtsanspruchs auf ganztägige Bildung und Betreuung für Grundschulkinder aussehen könnte. Um diesem Anliegen näher zu kommen, wurden im Rahmen und als Impuls für die Expert*innen-Runde zwei Rechtsexpertisen in Auftrag gegeben. Zielsetzung beider Expertisen war die Auslotung und Bestimmung möglicher Regelungsoptionen zur Bestimmung von Qualität in ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangeboten sowohl aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) als auch aus der Perspektive der Bundesländer (Schulgesetze der Länder für Betreuungsangebote in schulischen Settings).

 

Prof. Johannes Münder hat eine Rechtsexpertise erstellt, die zeigt, wie guter Ganztag aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe gesetzlich geregelt werden kann

Die Expertise Rechtliche Möglichkeiten zur Sicherung der Qualität bei der Förderung von Grundschulkindern“ (Gütersloh, Dezember 2018) von Prof. Dr. Johannes Münder (emeritierter Professor an der TU Berlin) wurde durch die Bertelsmann Stiftung beauftragt. Sie knüpft an ein früheres Gutachten des Autors „Bedarfsdeckende Förderung und Betreuung für Grundschulkinder durch Schaffung eines Rechtsanspruchs“ (2017) für das Bundesjugendministerium an. In diesem wurde erläutert, welche Regelungskompetenz der Bund besitzt, um einen individualrechtlichen Anspruch auf einen Ganztagsplatz für Grundschulkinder gesetzlich zu verankern.

Das neue Gutachten prüft, auf welche Weise die, die Qualität betreffenden Fragen im Zusammenhang mit der Einführung des Rechtsanspruchs geregelt werden können.

Hierzu hat Johannes Münder vier mögliche Varianten erarbeitet, wie im Kontext der Jugendhilfe rechtssicher und bundeseinheitlich Qualitätsstandards für Ganztagsangebote implementiert werden könnten. Diese werden auch auf ihre jeweiligen Vor- und Nachteile hin überprüft:

a) Aushandlung qualitativer Standards durch Staatsverträge zwischen Bund und Ländern – zum Beispiel in Anlehnung an die Regelungsformen des KiTa-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetzes (KiQuTG)

b) Regelung eines subjektiven Rechtsanspruchs auf zentrale Qualitätsleistungen im Rahmen des § 24 Abs. 4 SGB VIII oder eines neu zu schaffenden Paragrafen – z.B. § 24 a SBG VIII

c) Ausarbeitung einer objektiven Rechtsverpflichtung gegenüber dem Leistungs­träger im Rahmen der §§ 22/ 22a+b SGB VIII

d) Regelungen bei der Genehmigung der Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII in Bezug auf Horte, ggfls. Einrichtungen der Kindertagespflege

Das Gutachten bleibt auf formal-juristische Aspekte beschränkt, als es die unterschiedlichen rechtlichen Regelungsmöglichkeiten aus der Sicht der Kinder- und Jugendhilfe systematisiert und bewertet. Außen vor bleiben hier inhaltliche Fragen danach was qualitätsvolle Ganztagsangebote für Kinder im Alter von 610 Jahren ausmacht und welche pädagogischen Zielsetzungen mit ganztägigen Angeboten zur Betreuung, Bildung und Erziehung verbunden sind. Diese Ausarbeitung ist nach Johannes Münder Auftrag der Jugendhilfe und anderer sozialwissenschaftlicher Berufe. Hierzu hat die Expert*innen-Runde „Rechtsanspruch guter Ganztag“ intensiv beraten. Die Veranstalter werden in Kürze einen Vorschlag vorlegen unter dem Titel “Einen guten Ganztag auf der Grundlage eines integrierten Bildungsverständnisses schaffen!”

 

Prof. Michael Wrase hat ein Gutachten erstellt, das zeigt, wie guter Ganztag aus Sicht der Bundesländer gesetzlich geregelt werden kann

Die Expertise „Einheitliche Qualitätskriterien für den Ganztag. Möglichkeiten der bundesrechtlichen Umsetzung“ (Essen, Juni 2019) von Prof. Dr. Michael Wrase (Professor an der Universität Hildesheim und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) wurde durch die Stiftung Mercator beauftragt. Das Gutachten baut auf den zwei vorgängig genannten Rechtsgutachten von Johannes Münder auf.

Mit Blick auf die Regelungskompetenz der Länder empfiehlt das Gutachten zur Einführung des Rechtanspruchs auf Ganztagsbetreuung eine gestufte Umsetzung von Qualitätsstandards in drei Schritten:

 

  1. Verankerung zentraler Merkmale des subjektiven Rechtsanspruchs in der Anspruchsnorm
    • Gesamtbetreuungszeit (8 Stunden) einschließlich Mittagessen
    • Verwirklichung in bzw. im Umfeld der Schule
    • Hausaufgabenbetreuung
    • Weitere Qualitätskriterien (auch unbestimmte Rechtsbegriffe) – etwa qualitativ und inklusiv hochwertige Ganztagsangebote, unter Anleitung von Fachkräften.

Eine Kollisionsnorm zum Schulrecht ist im Falle einer möglichen Leistungskongruenz einzuführen.

 

  1. (Objektiv-rechtliche) Konkretisierung des Förderauftrags in 
    §§ 22, 23 SGB VIII
  • Diese Konkretisierung ist ohnehin erforderlich, da die Bestimmungen nicht auf den Ganztag ‚passen‘, vgl. § 22a Abs. 3 SGB VIII
  • Förderung beruht auf einem „in gemeinsamer Verantwortung mit der Schulleitung entwickelten und abgestimmten Konzept“ o.ä.
  • individuelle Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten für Schulkinder sind bereitzuhalten – etwa zur Erledigung der Hausaufgaben
  • angemessene Vorkehrungen für Schüler mit Behinderungen sind zu treffen, vgl. Art. 24 UN-Behindertenrechtskonvention (BRK)

 

  1. Kooperatives Steuerungsmodell entsprechend KiQuTG
  • Erweiterung des Anwendungsbereichs des KiTa-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetzes (KiQuTG)
      • KiQuTG oder eigenes Qualitätsgesetz?
      • Wirksamkeitsanalyse und Verbesserungen / alternative Steuerungsmöglichkeiten?
      • Entwicklung von Handlungsfeldern und –zielen in der fachwissenschaftlichen Diskussion („Instrumentenkasten“ für den Ganztag)

 

Für Rückfragen und Anregungen stehen die vier Veranstalter jederzeit gerne zur Verfügung.

Dieter Eckert, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (dieter.eckert@awo.org)

Dr. Dirk Zorn, Bertelsmann Stiftung (dirk.zorn@bertelsmann-stiftung.de)

Carolin Genkinger, Robert Bosch Stiftung (carolin.genkinger@bosch-stiftung.de)

Viktoria Latz, Stiftung Mercator (viktoria.latz@stiftung-mercator.de)
(bis Februar 2020: Dr. Petra Strähle)

 

Die Expertise von Prof. Münder ist auch als Druckexemplar erhältlich über Angela Trillhase, Bertelsmann Stiftung, Carl-Bertelsmann-Straße 256,  33311 Gütersloh, Telefon: +49 5241 81-81134, E-Mail: angela.trillhase@bertelsmann-stiftung.de.

Die Expertise von Prof. Wrase ist auch als Druckexemplar erhältlich über Viktoria Latz, Stiftung Mercator GmbH, Huyssenallee 40, 45128 Essen, Telefon: +4920124522-43, E-Mail: viktoria.latz@stiftung-mercator.de.

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