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15.09.2022 | Artikel

EU-Pflegestrategie

Von: Alexander Friedrich und Marius Isenberg

 

Eine Europäische Strategie für die Zukunft der Pflege

Weltweit stehen die Menschen derzeit einer langen Reihe an Herausforderungen gegenüber: Klimawandel, die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine, Inflation, die Corona-Pandemie und weitere geopolitische Probleme fordern nicht nur die Regierungen, sondern auch die sozialen Dienstleister*innen. Bei den wirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie oder den explodierenden Energiepreisen musste sofort gehandelt werden, doch gibt es auch viele Herausforderungen, auf die mit langfristigen und nachhaltig geplanten Maßnahmen reagiert werden muss. Dazu gehört neben dem Klimawandel auch die Zukunft der Pflege. Allein in der Europäischen Union werden aufgrund der älter werdenden Gesellschaft bis 2050 mehr als 38 Millionen Menschen Pflegedienste in Anspruch nehmen müssen – das sind etwa 23% oder 7 Mio. Menschen mehr als noch heute. Bereits jetzt herrscht EU-weit ein Fachkräftemangel in der Pflege, der Beruf ist unattraktiv und oft schlecht bezahlt, jedoch massiv nachgefragt. Um für den stetig steigenden Bedarf an qualitativ hochwertigen, leistbaren und vor allem verfügbaren Pflegedienstleistungen gewappnet zu sein, hat die Europäische Kommission am 7.9.2022 eine umfangreiche Pflegestrategie vorgestellt.

 

Bereits im März 2021 hat die Europäische Kommission einen Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Säule Sozialer Rechte vorgelegt: Diese soll den Bürger*innen der EU in 20 Grundsätzen die Sicherstellung ihrer (sozialen) Rechte in allen Lebenslagen garantieren. Zu diesen Grundsätzen gehören auch die Gleichstellung der Geschlechter, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, Betreuung und Unterstützung von Kindern sowie Langzeitpflege.

 

Mit der Europäischen Strategie für Pflege und Betreuung soll nun dazu beigetragen werden, dass diese Grundsätze der Europäischen Säule Sozialer Rechte umgesetzt werden.

 

Der Pflegesektor sieht sich einer Vielzahl an Herausforderungen und Problemen gegenüber: In ganz Europa herrscht ein Fachkräftemangel im Pflegesektor, was sich zu einem großen Teil damit begründet, dass die Arbeitsbedingungen in der Pflege sehr belastend sind und teils schlechter Bezahlung und mangelnde gesellschaftliche Anerkennung festzustellen sind. Besonders schlecht sind häufig die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften in der 24-Stunden Betreuung

 

In Deutschland sind etwa 80 bis 83% der Pflegekräfte weiblich, EU-weit sind es sogar 90%. Viele Menschen werden auch zuhause von ihren – meist weiblichen – Angehörigen gepflegt, Schätzungen der Europäischen Kommission zufolge sind fast 8 Mio. Frauen in der EU aufgrund unbezahlter Pflege- und Betreuungsaufgaben nicht berufstätig. Im Sinne der Gleichstellungsziele der Union sieht die Pflegestrategie vor, dass die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung der Pflegekräfte verbessert und die pflegenden Angehörige durch Schulungen, Beratung als auch psychologische und finanzielle Hilfen besser unterstützt werden sollen.

 

Gleichzeitig sind für viele Menschen in der Europäischen Union Pflege- und Betreuungsdienste gar nicht erst verfügbar, nicht zugänglich oder schlichtweg nicht finanzierbar. Laut Schätzungen der Kommission können sich derzeit ein Drittel der Haushalte mit Langzeitpflegebedarf in der EU diese Dienste nicht leisten.

 

Welche Maßnahmen beinhaltet die EU-Pflegestrategie?

Ziel der EU-Pflegestrategie ist es, hochwertige, bezahlbare und leicht zugängliche Pflege- und Betreuungsdienste in der gesamten Europäischen Union zu gewährleisten und sowohl die Situation der Betreuungs- und Pflegebedürftigen als auch die Situation derjenigen, die sich professionell oder informell um sie kümmern, zu verbessern.

Zur Zielerreichung schlägt die EU-Kommission eine Vielzahl von Maßnahmen vor und ruft auch die Mitgliedstaaten dazu auf, Schritte zu unternehmen, um die Pflegestrategie mit Leben zu füllen. Eine zentrale Maßnahme ist der Vorschlag der EU-Kommission für eine Empfehlung des Rates über den Zugang zu bezahlbarer und hochwertiger Langzeitpflege. Darin empfiehlt die EU-Kommission den Mitgliedstaaten,

  • einen angemessenen Sozialschutz bei Langzeitpflege sicherzustellen, so dass diese für Bedürftige schnell verfügbar, umfassend und gut zugänglich ist,
  • das Angebot an Langzeitpflegediensten zu verbessern, z.B. durch die Einführung innovativer Technologien und indem die Zugänglichkeit der Dienste und Einrichtungen für Menschen mit besonderen Bedarfen und mit Behinderungen gewährleistet wird,
  • hohe Qualitätskriterien und -standards für Anbieter*innen von Langzeitpflege festzulegen,
  • pflegende Angehörige und Nahestehende durch Schulungen, Beratung sowie psychologische und finanzielle Hilfen besser zu entlasten,
  • angemessene und nachhaltige Finanzierung der Langzeitpflege zu mobilisieren, unter anderem aus EU-Fördermitteln,
  • faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, z.B. durch die Weiterentwicklung von Tarifverhandlungen und des sozialen Dialogs und die Förderung einer attraktiven Lohnentwicklung,
  • Qualifikationsbedarf und den Arbeitskräftemangel anzugehen, z.B. durch qualitativ hochwertige Berufsbildung und Weiterbildungsmaßnahmen für Betreuungs- und Pflegepersonal.

Zur Umsetzung der Empfehlung sollen die Mitgliedstaaten nationale Aktionspläne vorlegen und ein*e Koordinator*in berufen, um die empfohlenen Maßnahmen zeitnah umzusetzen. Die Umsetzung der Pflegestrategie wird von der Kommission regelmäßig evaluiert und den Mitgliedstaaten wird Hilfe in Form von Expertise und Fördergeldern zur Verfügung gestellt.

​​​​​​​Bewertung der AWO und Forderungen

Aus Sicht der AWO enthält die vorgelegte Pflegestrategie gute Lösungsansätze und Vorschläge für konkrete Maßnahmen, die nun von den nationalen Regierungen zeitnah umgesetzt werden müssen. Die AWO nimmt daher die Bundesregierung in die Pflicht, sich für eine rasche Annahme der Empfehlungen der Kommission einzusetzen und einen ambitionierten Aktionsplan zur Stärkung der Langzeitpflege vorzulegen. Wichtige Punkte sind dabei:

  • Die Tarifverhandlungen und der soziale Dialog müssen weiter gefördert werden, mit dem Ziel eines flächendeckenden Tarifvertrags, mit dem angemessene Löhne und bessere Arbeitsbedingungen sichergestellt werden können.
  • Qualitativ hochwertige, bezahlbare Langzeitpflege muss sichergestellt werden, um Pflegebedürftigen einen angemessenen Lebensstandard zu garantieren und die gesundheitliche Ungleichheit zu verringern.
  • Angemessene (finanzielle) Unterstützung für pflegende Angehörige muss gewährleistet werden.

Die Europäische Strategie für Pflege und Betreuung ist kein rechtsverbindliches Papier, daher liegt die Verantwortung nun bei den Mitgliedstaaten, die Vorschläge der Kommission umzusetzen und somit dazu beizutragen, die Zukunft der Pflege sicherzustellen. Die AWO ist sich als eine der großen Akteurinnen in der Pflegelandschaft ihrer Verantwortung bewusst und wird ihren Teil zu einer erfolgreichen Sicherstellung qualitativ hochwertiger Pflegedienstleistungen beitragen

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