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02.08.2023 | Artikel

Unterbringung zukunftsfähig gestalten

AWO fordert Nachhaltigkeitskonzepte bei der Unterbringung Geflüchteter

Beim diesjährigen Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz von der Evangelischen Akademie zu Berlin (23. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz – Evangelische Akademie zu Berlin (eaberlin.de)) konnte sich die AWO u.a. im Rahmen eines Panels zum Thema „Was brauchen Kommunen für eine zukunftsfähige Unterbringung?“ einbringen.

Die AWO-Referentin für Flucht und Asyl, Dominique Reißenweber, saß hierbei mit dem amtierenden Oberbürgermeister von Potsdam, Meik Schubert, sowie dem stellvertretenden Oberbürgermeister und Senator für Soziales, Gesundheit und Schule, Steffen Bockhahn, auf der Bühne.

Die AWO, als Repräsentantin der Zivilgesellschaft, konnte aufzeigen, dass Unterbringung auch nachhaltig gestaltet werden kann und dass hierzu bereits viele funktionierende Ansätze und Projekte existieren. Zugleich wurde deutlich gemacht, dass auf kommunaler, Landes- und Bundesebene Änderungen eintreten müssen um Schutz, Inklusion und bedarfsgerechte Unterbringung ausreichend gewährleisten zu können.

Dass Kommunen sich häufig mit der Aufgabe der Unterbringung und Inklusion Geflüchteter überfordert fühlen ist nachvollziehbar. Gebetet in einer integrationspolitischen Rahmensetzung, die häufig unklar oder gar widersprüchlich ist, müssen Kommunen vor Ort die politischen und rechtlichen Vorgaben des Bundes und der Länder umsetzen, ohne selbst direkt mitbestimmen zu können. 

Dennoch haben Kommunen Einflussmöglichkeiten, zwar häufig nicht direkt auf das „Was“ aber sehr wohl auf das „Wie“. Der Fokus und die Haltung bei der Bewältigung dieser sehr wichtigen Aufgabe spielt hierbei eine große Rolle, unter anderem bei Themen wie der Interkulturellen Öffnung von Behörden oder auch der Akzeptanz in der Zivilbevölkerung.

Nur mit viel Kommunikation mit Anwohnenden, Austausch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und anderen Kooperationspartner*innen und natürlich dem Einbezug der Neuankommenden selbst (beispielsweise in Form eines Bewohnendenbeirats) kann Inklusion wirklich funktionieren. Um Bedarfe und mögliche Hürden frühzeitig erkennen zu können müssen diverse Akteure in die Stadtteilplanung, vor allem aber bei der Errichtung einer neuen Unterkunft, einbezogen werden. Nicht-Migrantische Akteure müssen ebenso bei Netzwerktreffen und ähnlichem anwesend sein, sowie Akteure aus der Flüchtlingssozialarbeit auch in anderen Netzwerken vertreten sein müssen. Geflüchtete als homogene Gruppe zu betrachten, welche lediglich aufenthaltsrechtliche Anliegen haben, ist eine eindimensionale Betrachtung der Sachlage und geht an der Realität vorbei. Natürlich muss eine gute Erreichbarkeit von Migrationsberatungsstellen oder auch Asylverfahrensberatung gegeben sein, aber auch der Zugang zu Schwangerschaftskonfliktberatung, Erziehungsberatungsstellen, Schuldner*inneberatungsstellen, Schulen, Kindergärten etc. muss bedacht werden.

Ein wesentlicher Punkt bei der Debatte ist der Fokus auf dezentrale Unterbringung. Viele Kommunen verfolgen schon seit Jahren die Prämisse: „Schnelle Inklusion durch Vermeidung von Segregation“. In anderen Kommunen werden Geflüchtete weiterhin primär in Massenunterkünften am Ortsrand untergebracht. Auch wenn eine Unterbringung von vielen Menschen in Notzeiten eine große Herausforderung darstellt, muss das Ziel sein, nachhaltige Strukturen zu schaffen, so dass auch in schwierigen Zeiten Massenunterkünfte unnötig sind. Dieses Ziel sollte im Fokus stehen und nicht mit der Argumentation der Überforderung entkräftigt werden. Alternative Wohnformen, Diversifizierung von Unterbringung, Wohnbauinitiativen, Stärkung von sozialem Wohnungsbau sind alles Herangehensweisen, die zukunftsfähige Unterbringung ermöglichen und auch der Frage der Vorhaltekosten entgegenwirken können. Hierbei ist es auch wichtig, dass der reale Zugang zum Wohnungsmarkt für Geflüchtete mitgedacht wird. Unrealistische Voraussetzungen (beispielsweise 12 Monate Aufenthalt zur Beantragung eines Wohnberechtigungsschreins (WBS)) und mangelnde Informationsmöglichkeiten, stehen mit diesem Ziel direkt im Widerspruch. Informationen und Unterstützung bzgl. der Wohnungssuche müssen mehrsprachig und niedrigschwellig gestaltet werden. Aber auch (potenziell) Vermietende sollten bei den Bemühungen eingebunden werden. Die Haltung der Entscheidungstragenden innerhalb der Kommune spielt hier eine wesentliche Rolle, da sie mit ihrer (Zuver-)Sicht und ihren Bemühungen in der Zivilgesellschaft wegweisend sein können. Wenn dann passender Wohnraum gefunden wird, sollten aufwändige Verfahren und gesetzliche Regelungen dem Umzug nicht im Wege stehen. Deshalb ist nicht nur eine schnelle Bearbeitung und ein Terminerhalt auf Seiten der Behörden wichtig, sondern auch eine Schaffung von einer Ausnahmeregelung im §12a AufenthG (Wohnsitzauflage) bei passendem Wohnraum, sowie eine Verkürzung der Verpflichtung in einer EAE zu wohnen nach §47 AsylG (Wohnsitzverpflichtung) von großer Bedeutung. Die bundesgesetzliche Regelungen geben den kommunalen Ausländerbehörden Ermessensspielräume, die im Sinne einer nachhaltigen sozialen Teilhabe auch genutzt werden sollten.

Auch bei dem essenziell wichtigen Thema Sicherheit, gehen die Herangehensweisen der einzelnen Länder und Kommunen sehr weit auseinander. Ob ein Wachschutz der in der Nacht und am Wochenende vor Ort ist als ausreichend gesehen wird, ob spezielle Rückzugsräume/-möglichkeiten für besondere Gruppen (alleinreisende Frauen, LSBTQI*, etc) gegeben sind oder ob ein Gewaltschutzkonzept in der Unterkunft verpflichtend ist oder nicht, hängt alles von den Vorgaben der Länder oder Kommunen ab. Es gibt also keine verpflichtende einheitliche Mindeststandards bezüglich (Gewalt-)Schutz oder in anderen Bereichen wie Raumgröße, Sanitäranlagen, Außenanlagen, etc. Mancherorts gibt es weder Internetzugang noch abschließbare Räume. Kommunen sind nach §§ 44 Abs.2 a und 53 Abs. 3 AsylG lediglich verpflichtet „geeignete Maßnahmen“ zum Schutz vulnerabler Geflüchteter zu finden. Bei dieser vagen Verpflichtung, die keineswegs eine ausreichende nationale gesetzesmäßige Umsetzung der europäischen Richtlinien ist, ist es nicht überraschend, dass die Ernsthaftigkeit des Themas verloren geht.

Um den Bedarfen der Schutzsuchenden, vor allem der besonders vulnerablen Personen, auch nur im Ansatz gerecht zu werden, müssten diese überhaupt erst erkannt werden. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine bundesweit verbindliche Verfahren zur frühzeitigen Erkennung von besonderen Schutzbedarf. Es wird davon ausgegangen, dass Personen sich selbst hierzu äußern, was bei mangelndem Fachpersonal (bspw. In der Unterkunft), mangelndem Vertrauen zu Behörden (aufgrund von vorherigen Erfahrungen im Herkunftsland), der Sprachbarriere und vielen anderen Gründen, sehr unwahrscheinlich erscheint. Ein Clearingverfahren bei dem zu Beginn des Asylprozesses Personen ihre Anliegen darlegen können und aber auch über welche Ressourcen sie verfügen, wie beispielsweise Verwandte im Bundesgebiet, könnte nicht nur unter anderem der Chronifizierung von Krankheiten, der Verschlechterung von psychischer Gesundheit, stressbedingten Fehlgeburten, der Retraumatisierung durch erneuter Gewalterfahrung oder Diskriminierung in den Unterkünften vorbeugen, sondern auch genutzt werden, um Personen bedarfsbezogen zu verteilen, anstatt an dem Königsteiner Schlüssel, welcher sich bereits vor langem als ungeeignet erwiesen hat, festzuhalten. Denn nicht jede Kommune und jede GU verfügt über die gleichen Voraussetzungen und Ressourcen, um eine angemessene Versorgung und hinreichenden Schutz bereitzustellen.

Die Gestaltung des „Wie“ bei der Aufgabe der kommunalen Unterbringung und Inklusion von Geflüchteten in die Kommunen, spiegelt sich auch in der Vergabe der Einrichtungen wider. Hierbei können die Länder und Kommunen maßgeblich die Qualität der Unterbringung und der Versorgung Schutzsuchender beeinflussen. Ob in den Ausschreibungen finanzielle oder qualitative Faktoren im Fokus stehen, entscheidet darüber ob günstige Anbietende oder qualitativ hochwertige Anbietende den Zuschlag erhalten. Wird an dieser Stelle gespart, hat das nicht zu unterschätzende Folgen für die Inklusion der Neuangekommenen. Sozialarbeitende in den Unterkünften, sowie auch das restliche Personal, sind nicht nur mit der reinen Unterbringung beauftragt, sondern spielen eine wichtige Schlüsselfunktion hinsichtlich der Inklusion, der Zugänge zum Regelsystem, der Beratung und sonstiger Angebote wieder. Ohne geschultes, qualifiziertes und erfahrenes Personal, welches gut vernetzt ist, die wichtige Position, die sie in der Kommune und im Integrationsprozess spielen kennen und verstehen, sowie eine wertschätzende, respektvolle und zugewandte Haltung gegenüber den zu Betreuenden haben, ist eine gelingende Inklusion und ein gutes Ankommen von Schutzsuchenden nicht denkbar.

Aktuell ist die Unterbringungsqualität und somit die Lebensqualität sowie die damit einhergehenden Möglichkeiten der sozialen Teilhabe einer geflüchteten Person stark davon abhängig, wo die Person zufällig in Deutschland ankommt, beziehungsweise hin verteilt wird. Um die wichtige Aufgabe, die den Ländern und den Kommunen anvertraut wird, gut und auch auf Dauer stabil zu bewältigen zu können, benötigt es also einen ganzheitlichen und nachhaltigen Blick. Nachhaltigkeitskonzepte bezüglich adäquater Versorgung, Beratung und Unterbringung sowie Gewaltschutzkonzepte sind hierfür eine wichtige Voraussetzung. Gewaltschutz muss auch in Zeiten von Belegungsengpässen und steigenden Zuzugszahlen mitgedacht und umgesetzt werden. Auch bereits vorhandene funktionierende Strukturen dürfen nicht abgebaut werden, wenn die Zuzugszahlen wieder zurück gehen.

 

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